„Echo 3“. Entführungsthriller verschenkt sein Potential – Review (2024)

Kurzsichtig dargestellte Protagonisten untergraben politische Untertöne

Rezension von Christopher Diekhaus – 23.11.2022, 19:00Uhr

„Echo 3“. Entführungsthriller verschenkt sein Potential – Review (1)

„BeTipul“, „Hatufim – In der Hand des Feindes“, „Kvodo“ – in schöner Regelmäßigkeit sorgen Serien aus Israel international für Furore, vor allem dank ihrer englischsprachigen Adaptionen. Die genannten Produktionen, nur drei Beispiele von mehreren, erfuhren mit „In Treatment – Der Therapeut“, „Homeland“ und „Your Honor“ Neuauflagen, die Zuschauer weltweit in den Bann zogen. Einreihen kann sich nun auch der zehnteilige, unter Federführung von Mark Boal entstandene Entführungsthriller „Echo 3“, dessen israelische Vorlage auf den Titel „When Heros Fly“ hört, ihrerseits lose basierend auf dem gleichnamigen Roman von Amir Gutfreund. Die zum Start bei Apple TV+ veröffentlichten ersten drei Episoden bilden die Grundlage der nachfolgenden Kritik und geben trotz reizvoller Ansätze ein eher durchwachsenes Bild ab. Vor allem in puncto Charakterzeichnung und Handlungsführung lässt die Serie noch zu wünschen übrig.

Adrenalingetränkte Spannungsstoffe mit politischem Einschlag sind das Markenzeichen des Journalisten und Drehbuchautors Mark Boal, der für sein Skript zu Kathryn Bigelows „Tödliches Kommando – The Hurt Locker“ und seine Beteiligung als Produzent gleich zwei Oscar-Statuen entgegennehmen durfte. Die von ihm entwickelte Apple-Serie „Echo 3“ ähnelt in einigen Punkten stark seiner letzten Arbeit, dem Netflix-Actioner „Triple Frontier“, der fünf frühere US-Elitekämpfer auf eine halsbrecherische Mission nach Südamerika führt. Geht es dem Quintett allerdings um Geld, eine Kompensation für ihr perspektivloses Leben nach der Army-Zeit, steht in Boals jüngster Schöpfung die Befreiung einer in Kolumbien von Rebellen entführten US-Amerikanerin im Zentrum.

Gleich zu Beginn sehen wir, wie Amber Chesborough (Jessica Ann Collins) mit anderen Gefangenen durch eine unwegsame Sumpflandschaft getrieben wird und nach einem Halt ihrer Ermordung entgegenblickt. Doch der Schuss, den wir hören, während das Bild schwarz wird, gilt – so viel dürfen wir verraten – nicht ihr. Anschließend springt die Erzählung sechs Monate zurück und kontrastiert die grauenhafte Erfahrung mit einem denkbar schönen Ereignis. Amber steht kurz vor ihrer Hochzeit mit Prince (Michiel Huisman), der genauso wie ihr Bruder Bambi (Luke Evans) einer Spezialeinheit des US-Militärs angehört.

Die wegen der Feier in der Luft liegende Anspannung fangen der kreative Strippenzieher Boal, Regisseur Pablo Trapero („El Clan“) und Bildgestalter Pau Esteve Birba („Die Pest“) mithilfe einer unruhigen, nicht ganz fokussierten, die Einstellungen fragmentierenden Kamera ein. Ein gelungenes visuelles Konzept, das in den nächsten Folgen jedoch schleichend fallen gelassen wird.

Bereits während der Party streicht die Serie die Differenzen zwischen den hier aufeinanderprallenden Klassen heraus. Prince hat einen elitären Hintergrund, sein Vater (Bradley Whitford) treibt Handel mit der Armee, verkehrt in höchsten Kreisen und bringt beim Tanzen mit der Braut auf durchaus übergriffige Weise das Thema „Kinder“ aufs Tapet. Schließlich muss das Imperium gesichert werden.

Amber dagegen stammt aus einer Hillbilly-Familie, in der Gewalt, das deuten kryptische Flashbacks an, eine große Rolle gespielt hat. Während sich ihr Bruder, ihre offenbar größte Vertrauensperson, recht überzeugend auf dem Parkett der Oberschicht bewegt, fühlt sich ihre, wie wir etwas später erfahren, mit Suchtproblemen kämpfende Mutter (Valerie Mahaffey) fehl am Platz. Die unterschiedliche Herkunft der Eheleute kommt in den ersten drei Episoden immer mal wieder zur Sprache. Noch tragen die Informationen aber nicht dazu bei, dass die Figuren überdurchschnittlich plastisch werden würden.

Die eigentliche Handlung setzt ein, nachdem Prince und Bambi von einer aus dem Ruder gelaufenen Befreiungsaktion in Afghanistan zurückgekehrt sind. Der aufflammende Konflikt zwischen den beiden – Ersterer beschuldigt Letzteren für den Tod eines Kameraden mitverantwortlich zu sein – gerät fürs Erste aus dem Blickfeld, da sie sich plötzlich zusammenraufen müssen, um Amber zu retten. Die Wissenschaftlerin, die auf der Suche nach Heilmitteln gegen Drogenabhängigkeit Feldforschung in Kolumbien betreibt, befindet sich nämlich in der Gewalt von Untergrundkämpfern.

Deren Misstrauen ist in besonderem Maße geweckt, weil die US-Amerikanerin einen Funksender bei sich trägt, der eigentlich dafür gedacht ist, Lawinenopfer aufzuspüren: Gegen ihren Willen hat Prince das Gerät in ihrem Rucksack versteckt. Immerhin will ein echter Mann seine Frau stets in Sicherheit wissen. Ironischerweise bringt sein fragwürdiges Handeln die Gattin nur noch mehr in Gefahr, vermuten die Rebellen doch, dass sie eine Agentin der CIA sei.

Mehrfach blitzt in „Echo 3“ Kritik an klassisch maskulinen Verhaltensweisen und Lösungsstrategien auf. Prince glaubt, Amber aus der Ferne unbedingt auf Schritt und Tritt verfolgen zu müssen. Und zusammen mit Bambi ist er sich nach der Entführung natürlich sofort einig, dass es keine andere Wahl gibt, als selbst zur Tat zu schreiten – was die Serie mit pumpender Musik untermauert.

Das Duo, das Teil einer für komplizierte Operationen ausgebildeten Truppe ist, benimmt sich nach der Ankunft in Südamerika allerdings bisweilen wie die Axt im Walde, agiert erstaunlich kurzsichtig – und setzt damit, wenn man das Ganze einmal genau durchdenkt, das Leben der Geisel massiv aufs Spiel. Wahrscheinlich wollen die Macher im Auftreten der beiden Soldaten die zweifelhafte Interventionspolitik der USA spiegeln. Das brachiale Vorgehen der beiden erfahrenen Militärs kratzt aber durchaus etwas an der Glaubwürdigkeit der Charaktere.

Die Herablassung, mit der Nordamerikaner anderen Nationen, vor allem weniger entwickelten Ländern, gerne begegnen, bricht auch in den Gesprächen hervor, die Amber mit Graciela (Maria Del Rosario) und Fami (Sofia Buenaventura), zwei Mitgliedern der Rebellengruppe, führt. Obwohl sie sich in einer ungünstigen Lage befindet, provoziert die Forscherin die jungen Frauen und riskiert so drastischere Maßnahmen. Hauptfiguren mit unsympathischen Eigenschaften auszustatten, sie ambivalent zu gestalten, ist äußerst fruchtbar, verleiht Geschichten Tiefe. „Echo 3“ schafft es bislang jedoch nicht, die Protagonisten wirklich interessant zu zeichnen.

Ähnliches gilt für das Nebenpersonal. Die in den Fall involvierte kolumbianische Journalistin Violetta Cadiz (Martina Gusman) erhält etwas Backstory, gewinnt aber noch kein richtiges Profil. Und auch die beiden oben erwähnten Entführerinnen werden ein wenig herausgehoben, ohne facettenreich zu sein. Überhaupt ist die Serie sehr diffus, was die Ziele und Ideale dieser neugebildeten Guerillaeinheit anbelangt. Nach drei Folgen weiß man nicht viel mehr, als dass sie die Regierung für verdorben hält und die Bevölkerung anstacheln will. Den komplexen soziopolitischen Verhältnissen im Norden Südamerikas wird die Handlung erst einmal nicht gerecht, bleibt zu sehr an der Oberfläche, auch wenn viele unterschiedliche Parteien in der Angelegenheit mitmischen.

Einige kompetent arrangierte Actionsequenzen heben die Spannung an. Gleichzeitig fällt allerdings auf, dass der Plot oft nur deshalb vorankommt, weil sich die Beteiligten blauäugig bis laienhaft verhalten. Obwohl anders behauptet, wirkliche Profis, diesen Eindruck nimmt man nach den Auftaktepisoden mit, sind hier auf allen Seiten eher nicht am Werk.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten drei von insgesamt zehn Folgen der Serie „Echo 3“.

Meine Wertung: 2,5/​5

Die ersten drei Episoden der Serie „Echo 3“ sind seit dem 23. November bei Apple TV+ verfügbar. Danach erfolgt eine Veröffentlichung im Wochenrhythmus.

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